“Kunst hat sich durch Instagram verändert”

“Kunst hat sich durch Instagram verändert”

Die beiden Wiener Labels Wendy Jim und House of the very island’s  sind heuer für den Outstanding Artist Award für experimentelles Modedesign des Bundeskanzleramts im Zuge der Austrian Fashion Awards 2017 nominiert. Im Interview sprechen sie über Musik, die forcierte Trennung von Geschlechtern in der Mode und das Kamerakind der Woche.


Wendy Jim

Hermann Fankhauser und Helga Ruthner lernten sich in der Modeklasse von Helmut Lang an der Angewandten kennen. Ihr Label Wendy Jim feiert bald zwanzigjähriges Jubiläum, an ihrem Zugang und der Neugierde hat sich jedoch wenig geändert.

Hermann Fankhauser, Helga Ruthner, © Dominik Geiger

Ihr arbeitet seit fast 20 Jahren zusammen. Wie schafft man es da, sich immer neu zu inspirieren?

Hermann: Das ist eine gute Frage. Es ist wirklich die Neugier an der Mode, die uns immer weiter treibt. Man geht trotzdem immer in die gleiche Richtung, erstaunlicherweise. Auch wenn man 20 Jahre zusammenarbeitet, hat man trotzdem noch die gleichen Ziele.

Helga: Ich hab irgendwie meinen Schrecken, wenn ich höre, wie lange das schon ist, weil wir so nie gedacht haben. Jeder hat ja eine Vorstellung vom eigenen Alter. Wenn ich in der U-bahn sitze und rausgehe bin ich 19 und dann erschrecke ich total, wenn ich mich im Spiegel sehe. Und wenn wir arbeiten haben wir auch eine andere Identität, so eine gewisse Neugier, da ist es eigentlich egal, wie lange man das schon macht.

Hermann: Man denkt ja nicht darüber nach, wie lange man schon zusammenarbeitet, das ist eher so wie Zähneputzen.

Helga: Das ist vielleicht eher schlecht, wenn wir uns gegenseitig als Staubsauger wahrnehmen.

Beide lachen.

Wenn man Texte über euch liest, dann wirkt der Zugang zu Mode sehr intuitiv. Würdet ihr das so unterschreiben?

Helga: Ja, schon. Das Wichtigste ist, dass wir den Spaß nicht verlieren dürfen, weil das Ganze ziemlich auf gute Stimmung miteinander und in der Arbeit aufbaut. Deshalb haben wir in den letzten Jahren verstärkt daran gearbeitet, dass die Kollektionen finanziell unabhängig funktionieren. Um sich die Laune an dem Ganzen nicht zu verderben, muss man sich immer wieder freispielen von dem Gedanken der Verkäuflichkeit. Für uns, so wie wir Mode gelernt haben, ist das eine notwendige Sprache, die wir sprechen müssen, um glücklich zu sein, um uns ausdrücken zu können. Das geht nicht, dass uns irgendjemand sagt, dass wir jetzt nur noch einen gelben Pullover machen dürfen, weil der sich verkauft.

Hermann: Ja und das Intuitive hat auch etwas mit dem Zeitlichen zu tun. Also damit, dass man sich wirklich mit der Zeit auseinandersetzt. Wir sind gefangen in einem System, das wir vielleicht sogar selbst mitkreiert haben. Es geht uns wirklich darum, dass wir immer aufmerksam durch die Straßen gehen. Zeitgeist ist uns schon wichtig.

Outstanding Artist Award für experimentelles Modedesign des BundeskanzleramtsEXI(S)T , © Hanna Putz

Gutes Stichwort. Eure neue Kollektion “No One Likes Us” ist ja auch sehr vom Zeitgeist inspiriert und bezieht sich viel auf die Like-Kultur. Klingt nach Gesellschaftskritik.

Hermann: Es ist jetzt nicht so, dass wir bewusst die Gesellschaft kritisieren, aber es interessiert uns.

Helga: Wir haben ja eigentlich gehofft, dass wir hunderttausend Likes wegen diesem Satz bekommen, und dass wir dann davon leben können, haha.

Hermann: Ja, aber es hat schon damit zu tun, wie abhängig die Gesellschaft von dieser Digitalität geworden ist. Die Währung ist ein Like, sozusagen.

Ihr habt einmal in einem Interview gesagt, es gäbe eine große Diskrepanz zwischen liken, teilnehmen und einer tatsächlichen Handlung. Befinden wir uns in einer digitalen Starre?

Helga: Ja, ich bin echt erstaunt, weil ich hab als Studentin “Rasender Stillstand” von Paul Virilio gelesen und fand das damals total doof und naiv, sich die Zukunft so vorzustellen. Er beschreibt dort den Menschen, der nur noch in einem abgedunkelten Raum sitzt und die Welt virtuell bereist. Ich finde das so arg, dass er das schon in den 90er-Jahren geschrieben hat und dass alles so gekommen ist, und niemand findet das komisch. Ich habe letztens mit einem Internetwissenschaftler geredet, falls es den Begriff schon gibt, und der hat mir bestätigt, dass die ganzen schlimmen Vorahnungen Realität wurden. Ich weiß auch nicht, warum wir das so wollten, wir Menschen. Wir schauen ja auch selbst ständig auf Instagram, ob sich irgendwas bewegt. Ob uns der richtige Mensch likt. Wir sind ja auch nicht anders.

Vielleicht besteht die Kunst darin, sich nur die guten Sachen zu nehmen und trotzdem selbst zu handeln.

Helga: Ja aber gerade, wenn du Kunst sagst… Ich finde, die Kunst hat sich wirklich verändert durch Instagram. Die Art und Weise, ein Kunstwerk zu betrachten, hat sich drastisch geändert. Man stellt es immer in Relation zu der Frage, ob es sich dafür eignet, sich selbst mit dem Kunstwerk auf eine interessante Art zu inszenieren. Es geht nicht mehr darum zu sagen: “Schau mal, was für ein interessanter Mensch ich bin, weil ich mir das anschaue.” Der Satz heißt jetzt: “Schau mal, was ICH Interessantes mache.”

Hermann: In der Modewelt ist es ja genauso. Die Inszenierung vor dem Event ist mindestens genauso wichtig wie die Show. Da sitzen dann alle mit ihrem Smartphone und schauen sich die Show durch den Bildschirm an. Da denke ich immer: Wieso sitzen diese Leute live dort, wenn sie es eh wieder gleich sehen, wie alle anderen? Das verstehe ich nicht.

Helga: Schuld ist 1,2 oder 3 und das Kamerakind der Woche. Jeder hat sich das immer gewünscht, und ist jetzt sein eigenes Kamerakind der Woche.

Lachen.

Ihr macht ja auch beide Musik, wenn auch nicht zusammen. Wie fließend sind da die Grenzen? Inspiriert euch die Musik zur Mode oder umgekehrt?

Hermann: Ich mache keine Musik, ich bin Hobby-hobby-hobby Dj, also… Eigentlich nicht mal Hobby, joa, ich mach DJ. Wobei das vielleicht eine Beleidigung für DJs ist, ich bin nicht sehr professionell. Allerdings machen DJs auch Mode, und die können das auch nicht besser.

Helga: Also für mich hat das eher den Status einer Psychotherapie, wir gehen in den Proberaum und schreien. Ich nehme das schon ernst und mir taugt es total. Wir machen das schon zehn Jahre in verschiedener Besetzung und wenn wir es nicht machen, fehlt es uns irrsinnig. Aber das muss niemand hören und das muss auch niemandem gefallen. Es reicht, wenn es uns taugt.

House of the very island’s

House of the very island’s wurde 2006 als Kollektiv von vier Designerinnen und Designern gegründet, seit 2008 sind Karin Krapfenbauer und Markus Hausleitner die Gesichter hinter dem Label. Von Anfang an wurde in den Kollektionen mit der Überschreitung konventioneller Auslegungen von Geschlecht, Körper, Identität und Schönheit gespielt. Das Label kooperiert viel mit Performance-Künstlern wie Ian Kaler oder Jakob Lena Knebel.

 

Outstanding Artist Award für experimentelles Modedesign des BundeskanzleramtsMarkus Hausleitner, Karin Krapfenbauer, © Ute Hölzl

Ihr designt hauptsächlich Unisex-Mode. Ist das einfach zeitgenössischer oder warum findet ihr es wichtig, aus Geschlechterklischees und Konventionen auszubrechen?

Karin, Markus: Wir designen seit Anfang an all-sexes-Kollektionen. Das ist für uns eine grundsätzliche und ganz selbstverständliche Haltung. Es entspricht dem, wie wir auch die Menschen in unserem Umfeld wahrnehmen. Diese im gesellschaftlichen Mainstream forcierte Trennung in männlich und weiblich wird ständig herausgefordert und durchbrochen. Das ist etwas, was uns immer interessiert hat und womit wir uns immer identifiziert haben.

Der offizielle Name House Of The Very Island’s Club Division Middlesex Klassenkampf But the Question Is Where Are You, Now?  ist ja ganz schön lang…war das eine bewusste Entscheidung?

Karin, Markus: Wir haben als vier Designer begonnen und sehr lange über einen gemeinsamen Namen diskutiert. Im Endeffekt haben wir dafür entschieden, in dem Namen alles aufzunehmen, was jedem von uns wichtig war.

Outstanding Artist Award für experimentelles Modedesign des BundeskanzleramtsD.H.Y., DoHouseYourself, © Christian Benesch

Wie seht ihr denn die Modeszene in Wien, im Vergleich zu Tokio oder Paris? Was würdet ihr euch vielleicht mehr wünschen?

Karin, Markus: Es gibt sehr gute und interessante Leute in Wien. Von aussen betrachtet, scheint Wien etwas am Rande der Szene zu sein. Trotzdem gibt es viele Leute, die international arbeiten und ein gutes Netzwerk. Paris hat natürlich den Vorteil, dass es eine traditionelle Modemetropole ist. Für junge Designer ist es in Paris einfacher, internationale Kontakte zu knüpfen. Japan hat seinen eigenen Modemarkt. Aber den Eindruck, dass man es als Designer einfacher hat, wenn man aus Tokio kommt, haben wir eigentlich nicht.

Markus, du arbeitest ja auch als DJ. Inspiriert dich die Liebe zur Musik zu neuen Kollektionen?

Markus: Ich bin immer auf der Suche nach neuer Musik, es ist so ein Nerdism. Oft ist auch ein Track der Ausgangspunkt für eine neue Kollektion, und zu jeder Kollektion gibt es einen Soundtrack. Musik und Mode kann ich garnicht trennen.

 

Sarah Naegele
naegele.sarah90@gmail.com

Mag Kontraste, versucht aber nie schwarz weiß zu schreiben. Lieblingsthemen: Kunst, Kultur, und Zwischenmenschliches im weitesten Sinn.