“Innovation sollte immer das primäre Ziel eines Designers sein”

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“Innovation sollte immer das primäre Ziel eines Designers sein”

Selina Rottmann und Markus Wernitznig sind als zukunftsweisende JungdesignerInnen für den Modepreis des Bundeskanzleramtes Österreich nominiert. Die Verleihung der Austrian Fashion Awards 2017 findet am Dienstag, 25.04 im Rahmen des Take Festivals for Independent Fashion and Arts statt. Auf die/den GewinnerIn wartet ein einjähriges Stipendium für ein Praktikum im In- oder Ausland.

 

MARKUS WERNITZNIG

Sie haben erst kürzlich den Master in “Fashion Womenswear” am Central St. Martins College abgeschlossen. Was ist beruflich Ihr nächstes Ziel?

Markus Wernitznig: Im Moment bin ich damit beschäftigt Möglichkeiten und Perspektiven abzuwägen. Ich muss mich jetzt entscheiden, ob ich einen Job in einem großen Modehaus annehme oder ob ich mich auf ein eigenes Label weiter fokussiere. Wenn du zehn Jahre auf etwas hinarbeitest, willst du auch einen Job, der wirklich passt. Ich hatte sehr positive Reaktionen auf meine Abschlusskollektion und jede Menge Presseanfragen. Es wäre naheliegend einfach mit einer eigenen Kollektion weiterzumachen, aber das ist natürlich leichter gesagt als getan.

In Ihrem Lebenslauf finden sich unter anderem Praktika bei Balenciaga, Céline, Tom Ford und freiberufliche Arbeiten bei Alexander McQueen. Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Ich hatte wirklich Glück, ich bin in meinen Praktika nie im Keller gesessen und habe stundenlang Rüschen genäht. Ich war in alle Abläufe involviert und arbeitete für Designer, die darum bemüht waren ihr Wissen weiterzugeben. Bei Céline war ich im 3D-Designstudio und arbeite an Volumenrecherchen und 3D-Experimenten – diese Zeit hatte großen Einfluss auf meine persönliche Arbeitsweise. Bei fast allen Praktika habe ich auch an eigenen Teilen gearbeitet, die in den Kollektionen waren. Bei Balenciaga und Tom Ford war ich der Assistent des Headdesigners, was natürlich mit viel Verantwortung verbunden war. Jedes der Labels hat mir unterschiedliche Denkanstöße und Arbeitsweisen vermittelt. Ich habe wirklich überall etwas mitnehmen können. Die unterschiedlichen Einflüsse sieht man auch in meiner Kollektion.

© Emeline Lambert, Liana Osheverova

Ihre Kollektion “Experimenteller – Surrealer –Minimalismus” ist eine Reflexion des experimentellen und unvollendeten Films “L’Enfer” von Henri-Georges Clouzot aus dem Jahre 1964. Wie kam es zu der Idee Ihre Kollektion daran anzulehnen?

Aus meiner Sicht ist es die Aufgabe eines Designers eine Welt zu erschaffen, in der die Kleidung leben kann. Diese Welt setzt den Ton für die ganze Kollektion. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder auf Filme zurückgegriffen, da man in eine bestehende Welt eintauchen bzw. diese neu interpretieren kann. Was ich so faszinierend an L’Enfer von Clouzot fand, war gerade die Tatsache, dass der Film unvollendet war und nur Fragmente des Films erhalten geblieben sind. Der Film ist aus einer Zeit in der Farbfilm gerade im Kommen war. Er ist eine interessante Kombination aus Farb- und Schwarz-Weiß-Aufnahmen, von ganz klassischen bis hin zu surrealen, experimentellen Bildern die viel raum für Interpretation lassen.

Wie spiegelt sich der Film in Ihren Kleidungsstücken wider?

Die Kollektion ist in drei ineinanderfliesende Passagen geteilt, die fragmentarisch an den Film angelehnt sind. Im ersten Teil sind es surreale Lammfell-Patchworkteile kombiniert mit skulpturalen Hosen und Röcken. Im zweiten Teil vermische ich klassisch angelehnte Silhouetten aus Kaschmir und grauem Flanell mit experimentelleren Hightechmaterialien und Schnitten. Im letzten Teil werden die Farbpassagen im Film in Form von Polyethylen-Chiffon-Organzateilen widergespiegelt. In meiner Kollektion steht, wie auch im Film, die Idee des visuellen Unbehagens im Vordergrund.

“L’Enfer” hätte das Genre Film revolutionieren sollen. Ist das auch Ihr Zugang im Hinblick auf Mode?

Revolution ist vielleicht zu hart ausgedrückt, aber Innovation sollte immer das vorrangige Ziel eines Designers sein. Wir befinden uns gerade in einer Zeit der aufgewärmten Revolution. In “L’Enfer” kommt immer wieder das Schlagwort “visual discomfort” vor. Ich denke, dass gerade die Dinge, die schwierig zu analysieren und zu verstehen sind, jene sind, die interessant und innovativ sind. Nach meiner Show haben viele nicht gewusst, wie sie die Kollektion lesen sollen. Das fand ich toll, weil ich offensichtlich einen Denkanstoß geben konnte. Man sieht so viele Kollektion, in denen es mehr oder weniger eine Idee gibt, die dann zwanzigfach wiederholt wird. Designer sollten es sich nicht so einfach machen dürfen.

© Emeline Lambert, Liana Osheverova

 

SELINA ROTTMANN

Zwei Jahre sind seit dem Abschluss Ihres Modedesign-Studiums und Ihren ersten Erfolgen als Designerin vergangen. Wo stehen Sie jetzt?

Selina Rottmann: In den letzten zwei Jahren hatte ich, durch den Erhalt von Förderungen der Austrian Fashion Association, die Chance selbstständig Kollektionen zu entwickeln. Die Erfahrung für mich selbst zu arbeiten war gut und wichtig. Für eine positive Weiterentwicklung ist es jetzt jedoch wesentlich auch andere Arbeitsweisen kennenzulernen. Mein Wunsch ist es deshalb in den nächsten Jahren ins Ausland zu gehen, um Praktika bei verschiedenen Labels zu machen.

Ihre Kollektion im letzten Jahr war inspiriert von klassischen Fotografien aus dem frühen 20. Jahrhundert. Wovon ließen Sie sich für Ihre aktuelle Kollektion inspirieren?

Grundsätzlich sind es immer Menschen und deren Gefühle, Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die mich interessieren und somit auch inspirieren. Bei der letzten Kollektion waren es Porträtaufnahmen von Menschen aus unterschiedlichen Schichten und Kulturen. Für meine jetzige Kollektion habe mich eher auf die innere Gefühls- und Gedankenwelt konzentriert. Mein Ziel war die Veranschaulichung der vom Unterbewusstsein gezeichneten Bilder, die nach außen getragen auf andere projiziert werden.

In Ihren bisherigen Kollektionen legten Sie ein besonderes Augenmerk auf die Überformung von typischen Merkmalen der Männerbekleidung. Ihre aktuelle Kollektion ist eine Mixed Collection. Wie kam es dazu?

Ich habe mich auch bei dieser Kollektion an Männerkleidung orientiert und versucht die Kleidung so zu entwerfen, dass sie sowohl für Frauen als auch für Männer interessant und tragbar ist.

© Darius Lucaciu, Julian Burlacu

Was reizt Sie am Aufbrechen dieser traditionellen Trennung zwischen Menswear und Womenswear?

Ich wollte jede klare Definition vermeiden, um mich nur auf den Menschen zu konzentrieren. Zu projizieren oder Projektionsfläche zu sein, ist etwas Menschliches, unabhängig vom Geschlecht. Für mein Thema war es deshalb wesentlich diese Grenzen verschwimmen zu lassen.

Sie setzen sich in Ihren Kollektionen mit der Suche nach dem “idealen Sein” auseinander. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gelangt und wie spiegeln sich diese in Ihrer Kollektion wider?

Dieses Thema lässt mich irgendwie nicht los. Vielleicht, weil es so viele Fragen aufwirft, die man so schnell und einfach nicht beantworten kann. Das “Nichtideale” ist doch meistens das Interessante. Und trotzdem suchen wir auf allen Ebenen nach dem Idealen. Diese Ambivalenz bietet eine große Inspirationsquelle und ich finde es spannend diese Thematik im Kontext der Mode zu beantworten.

Was machen Sie, wenn Sie den Modepreis des Bundeskanzleramtes gewinnen?

Der Modepreis bietet mir eine unglaubliche Chance. Ich könnte ohne finanzielle Sorgen wertvolle Praktika in verschiedenen Städten und bei unterschiedlichen Labels machen.

© Darius Lucaciu, Julian Burlacu

 

Cornelia Knabl
cornelia.knabl@hotmail.com

journalism. culture. arts.