Missstände der Modewelt in Heftform

On Fashion Revolution at Austrian Fashion Association

Missstände der Modewelt in Heftform

Während die Mode in den letzten Wochen bei den Runway-Shows der Fashion Weeks ins rechte Licht gerückt wurde, zeigten am Mittwoch Abend Studierende des IKL / Moden & Styles, im Rahmen ihrer Präsentation “On Fashion Revolution“, die Missstände der Modeindustrie anhand von neun Forschungsprojekten in Heftform auf. Es war ein informativer Abend im Off-Space der Austrian Fashion Association. Ganz abseits von Glam and Champagne.

“Unser Chef war ein Sexist. Er sagte, dass er mit uns Mädchen einen Harem hat, den er auf den Shows herzeigen kann”, erinnert sich Nina Geschl, Studentin des IKL / Moden & Styles, an die Zeit, in der sie bei einem renommierten Mode-Label ein Praktikum absolvierte. Schlechte Bezahlung, reden untereinander verboten – so sah der Alltag in der Produktion aus.

Mit Ninas Projekt “Work Work Work” begann die Vorstellung der neun Projekte der Studierenden des IKL / Moden & Styles. Die Projekte beziehen sich, ausgehend von eigenen Erfahrungen, auf die Missstände in der Modeindustrie in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Umwelt, Migration und Flucht. Gemeinsam mit Andreas Spiegl, vom IKW der Akademie der bildenden Künste, diskutierten Elke Gaugele, Simonetta Ferfoglia, Heinrich Pichler und Nina Geschl, vom IKL der Akademie der bildenden Künste, die kreativ aufbereiteten Forschungsbeiträge der Studierenden.

Die Projektbeiträge lagen in Heftform zum Blättern auf. Zudem gab es einen Einblick in die Publikation “Fashion Revolution. Wien 2016” – die Publikation zu den ein Jahr laufenden Recherchen, audiovisuellen Arbeiten und Vermittlungskonzepten zum Thema von Mode im Kontext globaler Flucht, Migration und Ökonomie. Sie dokumentiert zudem die Podiumsdiskussion “Talking about a Fashion Revolution“, die beim Take-Festival internationale Aktivisten und Experten zusammengebracht hat, um über Arbeitsrechte, Produktionsbedingungen, Massenkonsum und die Rolle von Refugees und Migranten in der Modeindustrie zu diskutieren. Die Dokumentation liegt als Work in Progress vor und wird im Herbst 2016 als Online-Publikation veröffentlicht. Auch die Hefte der neun Projektbeiträge gibt es in Kürze online zu sehen.

 

Der Abend in Bildern

Musiktitel: “Electrical Shiver”. Hook/Loop & Text: Julia Koll. Musik & Remix: Marlene Redtenbacher. Video: Christoph Jelinek

 

Knapp und informativ – Kurzbeschreibungen der Projekte

Work Work Work 

Nina Geschl und Fabio Otti

Es ist ein obszöner Supergau aus überlagerten Logos bekannter Modelabels, apokalyptischen Bildern der Trümmer des 2013 eingestürzten Fabrikskomplexes vom Rana Plaza inmitten der Megacity Dhaka, typografisch homogen gesetzten Zeitungsberichten über Ursachen und Auswirkungen dieser Katastrophe. Collagiert und variiert in weiss auf schwarzem bzw. schwarz auf weissem Grund, füllen die so strukturierten Flächen Figur und Feld entlang der Umrisszeichnungen von Textilarbeiterinnen und posierenden Models. Die Tonalität ist von Blatt zu Blatt unterschiedlich, folgt aber einer formal strengen Abfolge und Symmetrie durch das gesamte Heft.

Vom Cover aus spricht eine parallele Ich-Erfahrung: Nina Geschls Erleben der rücksichtlosen und frauenfeindlichen Ausbeutung im Rahmen einer vermeintlich hypen Praxis, den de facto prekaristischen Jobs für Londoner und Berliner Modelabels.

Ethik am Etikett

Maria Ettel, Elisabeth Lamche und Paul Türk 

Das immense ökonomische Volumen einer globalen Textilindustrie prägt und spiegelt gleichzeitig geopolitische Machtverhältnisse. Zur aktuellen Situation stellt der Beitrag fest, dass ausgerechnet Bio-Baumwolle derzeit zum großen Teil vom IS bezogen wird, und dass die wachsende Bedeutung von Handelswegen und die Entstehung globaler Konfliktzonen miteinander in Beziehung stehen. Die europäischen Märkte sind Profiteure solcher Entwicklungen, dennoch entstehen oder reaktivieren sich Gegenentwürfe von nachhaltiger Produktion – wie dem Baumwolleanbau in Portugal – und kleinteiligen Vertriebsstrukturen, die hier – exemplarisch auf Wiens zentrumsnahe Bezirke bezogen – aufgelistet werden.

Hände erzählen Menschen

Anja Kohlweiss und Raphaela Mayerhofer 

Die stilisierte graphische Abfolge von Hand-Darstellungen fokussiert auf die physischen Prägungen, die dieses Körperteil – allgemein mit Arbeit assoziiert – im Schaffen erfährt. Während die Produkte manueller Tätigkeit sich verselbstständigen und zu kursieren beginnen, geraten die produktiven Faktoren aus dem Blickwinkel. Der Beitrag erzählt also über die unterschiedlichen Hände, die ein Kleidungsstück im Lauf seines Life Cycle durchwandert. Die acht fiktiven Akteur_innen dieser transformativen Kontexte weisen Brüche in ihren Rollenbildern auf, sie verweisen auf die Instabilität der scheinbar festgefügten Struktur von Produktion, Handel und Verbrauch.

Inside and Outside the Shop

Georg Reiter und Veronica Schramek 

Der Beitrag rekonstruiert die Grenze zwischen dem Drinnen und Draussen des Kreislaufs von Produktion und Vertrieb entlang sozialer, legaler, technologischer Kontrollmaßnahmen. Die grafische Strecke setzt Sprachcodes der Propaganda in der Kunst fort (von z.B. der russischen Avantgarde bis zu Barbara Kruger). Von ihrer Haltung her ist sie eine “Demo”, die visuell und durch gemeinsame Slogans – es werden allgemein verfügbare Images herangezogen – ein globales, widerständiges “Wir” aktiviert.

Die Beweggründe dieser Demonstration werden im Interview mit der Entwicklungssoziologin Petra Dannecker erörtert. Sie geht nicht nur ausführlich auf Arbeitsbedingungen und gesellschaftlichen Kontext der Textilarbeiterinnen in Bangladesh ein, sondern betont deren in der Berichterstattung und medialen Erzählung oft ausgesparten Initiativen politischer Organisation als Akte weiblicher Selbstbestimmung. Gleichzeitig kritisiert sie die Bildpolitik des “Othering” im medialen Mainstream.

label me

Klemens Hofer und Elsa Klar

Die standardmäßigen Etiketten von Kleidung lassen wesentliche Fragen zu deren Herstellung und der Herkunft der Rohstoffe offen. So stand am Anfang von label me die Absicht, eine Plattform einzurichten, die Tags als strategisches Dispositiv nutzen, um verdecktes Wissen zu Rahmenbedingungen der Textilproduktion sichtbar zu machen und einzuordnen. Auf einem Instagram-Account werden über einen festgelegten Zeitraum Fotos von Bekleidungsetiketten unter Verwendung einschlägiger Hashtags wie #slowfashion oder #whomademyclothes veröffentlicht. Sehr schnell entsteht ein Netzwerk aus Akteuren im Bereich von Sustainable Fashion. Im Beitrag ist die Kommunikation als Listen von Abonnements, Kommentaren, Verlinkungen dokumentiert, wobei die statistischen Instrumentarien für deren Auswertung als Stilmittel einer ästhetischen Operation eingesetzt werden.

Eine Reflexion über das Potenzial von Social Media ergibt sich auch aus dem artikulierten visuellen Umgang und der Transformation der generierten Daten. Der beigefügte Leitfaden, zu dem ein Experte für Instagram-Marketing Bewertungskriterien für Accounts beisteuert, orientiert sich in seiner typografischen Form an Begriffs-Clouds. In seiner ungebrochenen Reproduktion der im Medium implizierten Strukturen und Ästhetiken verortet sich label me an der ambivalenten Grenze zwischen Affirmation und Kritik.

Mem über Gen

Stefan Eggenweber / Marlene Redtenbacher 

Die gewachsene und aktuelle Problematik der Textilproduktion wird in dieser Arbeit bewußt umgangen, denn vielmehr stellen sich die Autoren die Frage, wie Mode aussieht, wenn sich die Meme der Gene bemächtigen, sich die Gedanken verselbstständigen und die Kontrolle über den Körper übernehmen. Kleidung, Körper werden dann fernbestimmbar und -bestellbar. In einer Utopie, in der die Evolution soziokulturell, im Netz und nicht biologisch erfolgt, spielen Arbeitsbedingungen jedenfalls keine Rolle.

Collagen sind auf transparente Blätter transferiert, was eine Bild- und Zustandsüberlagerung ermöglicht. Ein essayistischer Text führt in das Funktionieren von Memplexen ein und geht besonders auf das Potenzial der Memetik im queer-theoretischen, sowie als Teme im technologischen Zusammenhang  ein.

Spitze 

Laura Molnar und Pia Elisa Nagl

Das Projekt Spitze hat einen biografischen Hintergrund und schafft durch schrittweise Übersetzung eine engagierte Erzählung über handwerkliche Meisterschaft und strukturelle Rahmenbedingungen. Diese wird eröffnet mit einer Abfolge von direkt eingescannten Vorarlberger Spitzen. Das Verfahren steht in Analogie zum zeilenweisen maschinellen Herstellungsprozess und betont die Plastizität der Spitze. Die Objekte sind auch Gegenstand eines Interviews mit ihrem Hersteller, Adolf Nagl, in dem er aus seinem Berufsleben und letztlich vom Arbeitsplatz-Verlust im Stickereiunternehmen auf Grund von Produktionsauslagerung in der neunziger Jahren berichtet.

Das Gespräch, das im Dialekt wiedergegeben ist, vermittelt seine sehr persönliche Perspektive, während die Autorinnen daran ein Netzwerk von kontextuellen informationen zu den strukturellen Entwicklungen der lokalen Textilindustrie und ihrer Anbindung an globale Prozesse im letzten halben Jahrhundert knüpfen.

Today I am 

Lena Baur / Teresa Kurzbauer 

Die Referenz auf die visuelle und operative Praxis der Künstlerin und Pädagogin Rebecca Goldschmidt deutet auf eine politische Leseart der Arbeit, in der die Fotos differente, nicht durch Konsumption bestimmte und gestaltbare Orte schaffen. Die Aneignung oder das Zurücklassen von Kleidung ist für Goldschmidt gleichermaßen eine Form der Kommunikation wie ein Akt des Widerstands. “Today I am” erschließt sich gleichermaßen in den Bezugsfeldern von Kunst, Fotografie und Mode: die Fotoserie zeigt Kleidungsstücke in Interferenz mit Objekten des Alltags – mit Möbeln, Baustoffen oder untereinander in Beziehung gesetzt, erzählen sie von Abwesenheiten und liegen Gelassenem. Der Blick konzentriert sich auf den Wert des Kleidungstückes in dessen ästhetischer Valenz, auf die in seiner Beschaffenheit selbst eingeschriebene Nachricht.

Videkstand 

Eva Moschitz und Marlene Wanzenböck 

Ein Kinderbuch von Fran Levstik  (1831 Dolnje Retje, heute Gemeinde Velike Lašče, Slowenien – 1887 Laibach) erzählt von Videk, dem jüngsten Sohn einer ländlichen Familie, der mit den völlig abgetragenen Kleidern seiner Geschwister vorlieb nehmen muß. Die Tiere organisieren sich und stellen ihm ein neues Hemdchen aus den Rohstoffen der Natur her. In der Parallelisierung der Illustrationen einer Ausgabe aus dem sozialistischen Jugoslawien von Roža Piščanec (1923, Lovrenc na Dravskem Polju – 2006, Ljubljana) und statistischen Daten zu Kinderarbeit in der Textilindustrie werden Arbeitsbedingungen und Ökologie eindrücklich problematisiert.

Mit einem Blatt handschriftlicher Notizen über die Gründung einer Kooperative wird aber auch auf konkrete Handlungsoptionen zur Überwindung bestehender Missstände verwiesen, und die Kultur- und Sozialanthropologin Ursula Kermer informiert in ihrem Interview über die eigene Motivation und Erfahrung bei der Beteiligung an Sozialprojekten im Textilbereich.

Christoph Jelinek
cjelinek.cj@gmail.com

Journalism and New Media Student, Editor, Fashion and Culture Enthusiast