„Mode ist wie ein Zerrspiegel unserer Gesellschaft“

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„Mode ist wie ein Zerrspiegel unserer Gesellschaft“

Als Schnittstelle zwischen Modedesigner*innen, Wirtschaft und Kultur fördert die Austrian Fashion Association die österreichischen Modeszene, um diese professioneller und internationaler zu gestalten. Beim diesjährigen Take Festival kümmern sich Camille Boyer und Marlene Agreiter wieder um die Vernetzung und Planung. Im Interview reflektieren die beiden Gründerinnen der AFA über Wien als Modestadt und ihren persönlichen Zugang zu Mode.

Wie wählt ihr in der Früh eure Kleidung aus? Nach Gefühl oder im Kopf?

Wir haben beide eine Art Capsule-Wardrobe, das erleichtert die Auswahl. Oft nimmt einem auch die Waschmaschine die Entscheidung ab. Glücklicherweise gibt es in unserer Branche keinen strengen Dresscode, das genießen wir sehr. Hauptsache ist aber: Austrian Fashion!

Ihr habt euch entschieden, in Wien die Modewelt mitzugestalten. Was hat sich in Wien stark verändert, seitdem ihr in der Branche arbeitet? 

Mode ist sich ihrer Verantwortung bewusster geworden, wie man an der Nachhaltigkeitsbewegung sieht. Es ist schön zu sehen, dass diese auch für Konsument*innen wichtiger geworden ist. Die lokale Retail-Landschaft hat sich weiterentwickelt, es gibt viele unabhängige Labels, neue Medienplattformen und Initiativen; Festivals, Pop-Up-Stores und Messen sind entstanden. Wien ist nicht London oder Paris, und das ist auch gut so, aber die Stadt hat es geschafft, sich eigenständig zu positionieren.

Gibt es etwas, das ihr euch für die Wiener Modeszene wünschen würdet?

Mehr internationalen Austausch und größere Sichtbarkeit. Wien fehlen Multiplikatoren mit internationaler Reichweite. Dies ändert sich aber langsam durch Social Media.
Österreich hat viele Talente hervorgebracht, die in der internationalen Modeszene ganz vorne mitmischen. Wir würden uns sehr freuen, wenn diese sichtbarer wären und vermehrt ihre Erfahrungen und ihr Know-How in Wien einbringen könnten. 

Wollt ihr in anderen Städten mehr modisch mitmischen? 

Wir tun das bereits während Paris Fashion Week mit dem DACH Showroom, einer Initiative, die wir gemeinsam mit Mode Suisse und Berlin Showroom betreiben. Auch in Hong Kong haben wir schon DACH Designer präsentiert. In den nächsten Jahren soll das Portfolio an Städten auf jeden Fall noch wachsen!

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Camille Boyer © Elsa Okazaki

Wäre eure Arbeit ohne Social Media noch denkbar?

Als wir vor mittlerweile mehr als 15 Jahren im Modebereich angefangen haben, war Social Media klarerweise noch nicht wirklich Thema, aber heute ist unsere Arbeit ohne Social Media unvorstellbar!  In der Mode-Branche hat sich vor allem Instagram derart etabliert, dass es aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. 

Die Modewelt allgemein wird oft als künstlich wahrgenommen. Hat dieses Künstliche auch etwas Gutes an sich?

Der Eindruck der Künstlichkeit entsteht wohl vor allem angesichts der Marketingmaschinerien großer multinationaler Konzerne mit ihrer Medienmacht und der vorherrschenden Celebrity-Kultur. Dies war aber schon immer Teil der Mode und wird immer wieder von der Branche reflektiert. Die Darstellung von Mode spielt oft mit dem Element der Künstlichkeit, daher passiert es leicht, den Inhalt dahinter zu übersehen.
Wir verstehen Mode als Spiegel von gesellschaftlichen, zeitgeschichtlichen und kulturellen Entwicklungen. Mode ist wie ein Zerrspiegel unserer Gesellschaft.

Mode ist Kunst und Mode ist Alltag. Gibt es Momente, in denen sie beides gleichzeitig ist?

Immer. 

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Marlene Agreiter © Elsa Okazaki

Wie kauft ihr Kleidung? Spontan oder mit genauen Vorstellungen?

Wir sind beide keine Shopaholics. Wenn wir Mode kaufen, dann ausschließlich von jungen Labels oder Designern die wir schon kennen und schätzen: bei den Pop-Ups bei uns im AFA-Offspace oder auch in Paris beim DACH Showroom. Am wichtigsten ist es, sich in ein Kleidungsstück zu verlieben!

Habt ihr einen Alltagslook?

Ja, wir sind da aber sehr verschieden. Schwarz wird von Marlene bevorzugt, ein wilder Mix von Farben und Styles entspricht eher dem Camille-Style: Ein bisschen provokative Edgyness schadet nie! 

Ihr wurdet einmal gefragt, wie ihr Mode in drei Worten beschreiben würdet. Damals meintet ihr, die Frage sei zu komplex, um sie sofort zu beantworten. Habt ihr mittlerweile eine Antwort?

Immer noch nicht. Wir sind von einer definitiven Antwort immer noch weit entfernt und das ist auch gut so.

Helene Proissl
helene.proissl@gmail.com