“Es ist heute provokant, etwas vorzuenthalten”

Mario Kiesenhofer

“Es ist heute provokant, etwas vorzuenthalten”

Mario Kiesenhofer arbeitet als Fotograf, Künstler und im Modekontext. Im Parcours des Take Festivals zeigt er neue Werke seiner Serie “Indoor“, für die er Gay-Bars, Clubs und Saunen weltweit auf eine sehr subtile Weise abgelichtet hat. Direkt vor dem Festival fotografiert er in London einen besonderen Ort: Ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, der mittlerweile zu einer Gay-Fetisch Location umfunktioniert wurde.

Was fasziniert dich an dem Thema Umgang mit Sex im öffentlichen Raum ?

Mario Kiesenhofer: Speziell hat mich immer die Geschichte der Homosexualität interessiert, vor allem wie sich die Szene in den öffentlichen Raum verlagert hat. Es gab so einen Knackpunkt und dann war sie überall in New York. Dann hat mich interessiert, wie es dazu gekommen ist, dass sich alles wieder so schnell in den Raum zurückgezogen hat. Mittlerweile wurde die Szene praktisch aus dem öffentlichen Raum verdrängt.

War New York auch der Ort an dem du das Projekt begonnen hast?

Nein, witzigerweise gab es schon bei meiner Aufnahmeprüfung an der Akademie diese Aufgabenstellung: Schließ dich 15 Minuten in einem dunklen Raum ein und mach fünf Fotos. Und ich dachte mir dann ok, schwierig, wie gehe ich damit um? Ich hatte bis dahin noch nicht mit sexualisierten Räumen gearbeitet. Ich bin dann aber in eine Gay-Cruising Bar gegangen und hab mich in einer Kabine eingesperrt, in der man eigentlich Sex hat. Dort habe ich Fotos ins Leere gemacht, tituliert, wo die Bilder aufgenommen wurde und das dann abgegeben. Also die Idee war schon sehr früh da. Dann habe ich mich aber lange nicht mehr mit Innenräumen befasst, sondern entdeckt, dass es in Wien auch am Toten Grund auf der Donauinsel ein sehr freies Gebiet gibt. Die Donauinsel finde ich in diesem Kontext sowieso spannend, da sie eine ausgelagerte Stätte ist. Frei nach dem Motto: alles was nicht ganz geheuer ist, wird ausgelagert.

Du hast ja Gay-Bars, Clubs und Saunen in Tokio, New York, Budapest, Berlin, und Wien fotografiert. Haben sich diese Orte unterschiedlich ins Stadtbild integriert?

In Tokio gibt es ein Viertel, in dem sich viel abspielt. Dort bin ich einfach rumgelaufen, habe auch recherchiert. Ich versuche meist vor den eigentlichen Aufnahmen direkt zu den Clubs zu gehen und die Besitzer ausfindig zu machen. In Budapest wurde ich zur Fashion Week eingeladen, da ich auch im Modebereich arbeite, und dachte mir, dann nutze ich meine Einladung auch, um die Serie voranzutreiben. In Budapest ist die Szene wirklich in so einem Randbezirk, in einem schäbigen Teil der Stadt. Es gibt auch Arbeiten, wo ich die Außentüren fotografiere. Da geht es genau darum: Wie präsentiert sich so ein Raum nach außen? Da fällt schon auf, dass die Türen oft sehr ähnlich sind. Das ist so eine kühle, metallene Richtung, wie Bunker- oder schwere Eisentüren. Meistens gibt es Sicherheitskameras und einen Zettel, auf dem steht, wer alles nicht reindarf.

Du hast gerade schon beschrieben, wie du oft versucht hast, zuerst Kontakt aufzunehmen. Wie schwierig ist es, so einen Raum zu fotografieren? Gab es Orte, an denen es nicht geklappt hat?

Eigentlich waren die Besitzer immer recht offen. Jetzt ist es natürlich schon leichter, da die Leute durch die bisherigen Arbeiten meine Bildsprache sehen. Die Besitzer waren immer interessiert daran, in welchem Kontext die Arbeiten gezeigt werden und natürlich wie ich fotografiere. Wenn man diese Räume ganz hell ausleuchten würde, dann würden sie schon sehr entblößt werden, es sind sehr intime Orte.

INDOOR/ Eagle NYC, © Mario Kiesenhofer

Gab es einen Lieblingsraum, den du fotografiert hast?

Alle Räume haben interessante Aspekte. Aber ja, vielleicht den Boiler in Berlin. Den finde ich einfach sehr spannend, weil viele dieser Orte auf alt gemacht sind oder wirklich eine lange Geschichte haben. Aber der Boiler in Berlin ist ganz neu renoviert, eine riesige dreistöckige Architektur des Sex, eine richtige Oase, in der es auch Wellness Angebote und mehr gibt. Man merkt, dass die Erlebnisarchitektur gut mitgedacht wurde.

Möchtest du mit deiner Arbeit provozieren?

Ich glaube das würde man so jetzt nicht sagen, es geht ja mehr um die Absenz als die Präsenz von etwas. Aber vielleicht ist das das Provokante. Heutzutage wird ja alles fotografiert und in den sozialen Netzwerken gezeigt. Eigentlich ist das Provokante, etwas vorzuenthalten, in einer Welt, in der alles dargelegt wird und offen ist.

Du wurdest in Interviews oft als kreativer Grenzgänger bezeichnet. Kannst du damit etwas anfangen?

Ja, schon. Die Bezeichnung kommt dadurch, dass ich mich nie festgelegt habe auf eine Richtung. Ich finde es zeitgenössischer, keine klaren Trennlinien zwischen den Künsten zu ziehen. Und es vermischt sich ja auch alles irrsinnig. Wenn ich jetzt im Modebereich Kunstprojekte umsetze, oder wenn ich Grafik für eine Künstlerin mache, da braucht man schon ein gewisses Gefühl dafür. Ich glaube, da bringe ich einfach viel Kunstwissen mit und kombiniere das dann wieder.

Titelbild: Porträt Mario Kiesenhofer, © Paul Mayer

Sarah Naegele
naegele.sarah90@gmail.com

Mag Kontraste, versucht aber nie schwarz weiß zu schreiben. Lieblingsthemen: Kunst, Kultur, und Zwischenmenschliches im weitesten Sinn.