Unter die Oberfläche

Modewelt

Unter die Oberfläche

Wie viel Raum bleibt in der Modewelt für echte Gefühle? Diese Frage stellten sich Designer und Künstler Luciano Raimondi und Fotografin Sigrid Mayer und präsentieren am Take Festival zwei unterschiedliche Projekte mit ähnlichen Intentionen. Während Luciano auf die meditative Wirkung von Sprache und Klang setzt, entführt Sigrid in ungeschönte, ehrliche Bildwelten. Beide Künstler plädieren damit auf eines: Entschleunigung in der Schnelllebigkeit der Fashionindustrie.

 

6:66 minutes of meditation

Einen Gegenpol zur Mode präsentieren, einen Raum schaffen, indem man zur Ruhe kommen kann: In seiner knapp siebenminütigen Soundinstallation lässt Luciano Raimondi unter anderem Marina Abramovic, Woody Allen, Werner Herzog und Patti Smith über Leben, Liebe und Tod zu Wort kommen – und den Zuhörern die Freiheit zur eigenen Interpretation.

Modewelt© Luciano Raimondi

Luciano, du nimmst zum ersten Mal am Take Festival teil. Kannst du dein Projekt kurz vorstellen?

Luciano: Mit einer Installation die quasi den Gegenpol von Mode zum Thema hat: Meditation. Ich schneide Passagen aus Interviews mit KünstlerInnen wie zum Beispiel Abramovic, Björk, David Lynch, Patti Smith zusammen und schaffe einen Raum in dem man “zur Ruhe” kommen kann. Je nachdem, wie sehr man es genießt hier mehr hinein zu interpretieren, geht es im größeren Kontext natürlich auch um die Frage nach einem Wandel im Mode-Business. Die rastlose Jagd nach neuen Images, die Schnelllebigkeit, wird ja seit einiger Zeit in der Modebranche selbst immer kritischer gesehen. Der Weg zum Wesentlichen und die Sehnsucht danach wird immer spürbarer, glaube ich.

Warum hast du dich für eine Soundinstallation entschieden?

Sound ist eine sehr direkte und intuitive Form um Eindrücke zu vermitteln. Und Sound steht in einem gewissen Gegensatz zur visuell dominierten Mode.

Du bist ja selbst auch Modedesigner. In welcher Hinsicht wünscht du dir einen Wandel in der Modebranche? 

Ich wünsche mir einen bewussteren Umgang mit Mode an sich und eine nachhaltigere Art der Modeproduktion. Für mich persönlich heißt das: weniger oft einkaufen gehen und wenn, dann eher Vintage oder gute Qualität, die länger als eine Saison hält. Immer mehr Menschen denken nicht mehr in einer Denkweise die besagt, dass sie das “neueste heiße Teil” sofort haben müssen, sondern kaufen bewusster und dafür weniger oft ein.

Gemeinsam mit einem Freund hast du die Wiener Eisdiele „Schelato“ gegründet. Inwiefern beeinflusst die Eiskreation deine künstlerischen Projekte?

Eismachen ist sehr ähnlich wie Mode machen oder jede andere handwerklich-kreative Arbeit. Mein Eismachen und die künstlerischen Projekte haben gemeinsam, dass ich dieselbe Person bin, die von denselben Dingen fasziniert und geprägt ist.

Welche Dinge sind es, die dich faszinieren oder prägen? 

In Anna Karenina heißt es sehr schön: “Wissen Sie, es braucht viele Jahre um herauszubekommen wer man wirklich ist. Aber dann erst kommt das eigentlich Schwierige – sich das auch einzugestehen und danach zu leben. Manchmal ist es aber auch schon zu spät und dann kann man nur noch träumen.” Mich inspirieren und prägen Menschen und Geschichten, die das Eingestehen geschafft haben oder auch das Träumen leben.

Beim Eisessen kann man auch gut träumen. Was ist deine Lieblingssorte?

Meine Lieblingssorte ist jede Woche eine andere. Jetzt gerade Kokos-Cassis.

Und wo genießt du dein Eis am liebsten?

Am liebsten genieße ich das Eis im Grünen und in Ruhe, abseits von der Arbeit. Aber ich esse ja schon fast täglich Eis, weil ich es bei der Produktion koste, bevor es ins Geschäft kommt.

Modewelt© Luciano Raimondi

 

FILL EMPTY SPACES WITH LOVE

Sigrid Mayer nennt es ein Projekt für Toleranz und gegen die Hoffnungslosigkeit der Leere. In ihrer Fotoausstellung zeigt sie ehrliche, unretuschierte Aufnahmen von Fashionpeople und ihren Liebsten. Damit möchte die Künstlerin aufzeigen, was hinter einer auf Hochglanz polierten Industrie steckt: Menschen, die lieben.

In deinem Fotoprojekt zeigst du größtenteils analoge, unbearbeitete Fotografien. Das unterscheidet sich stark von deinem Beruf als Fashion-Fotografin. Warum?

Sigrid: Um Liebe in all ihren Formen sichtbar zu machen, ist High-End-Retusche definitiv nicht nötig. Das echte Leben ist nicht perfekt, echte Menschen ebenso wenig. Und wenn man die liebevollen Szenen betrachtet, sollte einem der Gedanke fern liegen, die ProtagonistInnen nach Äußerlichkeiten zu beurteilen. Das bewusste Verzichten auf Bildbearbeitung unterstreicht zudem das Motiv der puren und echten Zuneigung.

Außerdem fordere ich mich damit selbst ein wenig heraus – irgendwann automatisiert sich der Blick/die Suche nach “Störelementen” in Bildern. Doch nach eingehender Betrachtung stören gewisse Dinge plötzlich nicht mehr, sondern machen die Aufnahme noch ein wenig interessanter.

Modewelt© Guy Debast

 

Modewelt© Guy Debast

Wer sind die Protagonisten in deinem Projekt?

Models, Stylisten, Hair&Make-Up-Artists, Fotografen, Designer… – kurz gesagt: Menschen aus der Modebranche, zusammen mit den PartnerInnen ihrer Wahl, wobei die Beziehungen zueinander nicht benannt werden.
 Mit vielen der Projekt-TeilnehmerInnen hatte ich schon beruflich zu tun, andere kannte ich vorher nur über zwei, drei Ecken oder durch ihre Arbeiten. Ziemlich spannend und oftmals überraschend, die Menschen “dahinter” kennenzulernen.

Was möchtest du den Besuchern mit deinen Arbeiten vermitteln?

Nicht alles Schwarz-Weiß zu sehen.
Die Mode-Branche ist nicht nur Konsum, Äußerlichkeit und Glamour. Sie besteht aus echten Menschen mit echten Gefühlen, aus Kreativität und Individualität.

Ist die Fashion-Welt wirklich so oberflächlich und leer, wie du sie als „empty spaces“ darstellst?

Das Projekt wartet nicht mit harten Fakten und Behauptungen auf, sondern lässt Raum für eigene Gedanken und Interpretationen. Insofern muss diese Frage jeder für sich selbst beantworten.
Ich persönlich bin nicht unbedingt dieser Meinung, andernfalls sollte ich schleunigst einen Job-Wechsel in Betracht ziehen… Tatsächlich wählte ich ursprünglich die minimalistischen Szenarien und die Stilelemente der Leere, Enge und Weite, um die Menschen in den Vordergrund zu rücken. Dass dies gleichzeitig eine sinnbildliche Überleitung zur „hohlen Mode-Industrie“ darstellt, ist ein ironischer Nebenaspekt. Das Spielen mit solchen Klischees soll aber eher zum Nachdenken anregen, als diese zu untermauern.

Wie und wo schaffst du es als Kreative, der Oberflächlichkeit zu entfliehen?

Ich denke, wenn man sich zwar beruflich (und leidenschaftlich gerne) mit Ästhetik beschäftigt, aber seine Mitmenschen im Privaten wie auch im Job mit Wertschätzung, Respekt und Interesse behandelt, hat Oberflächlichkeit wenig Chancen. Demzufolge versuche ich wohl meist nicht der Oberflächlichkeit zu entfliehen, sondern den allgegenwärtigen visuellen Reizen. Tanzen hilft.

Modewelt© Sigrid Mayer

Nina Horcher
nina.horcher@gmail.com

editor & copywriter. studied journalism in graz, hamburg and vienna. if there’s no dog to pet, i like looking at art, photography and putting my thoughts into words.